"Ich will nicht nur das Erzählerchen machen"
INTERVIEW: Auch wenn er nicht nur gute Erinnerungen an die Schulzeit hat: Ex-Ministerpräsident Kurt Beck kommt heute ins Maxdorfer Gymnasium, um sich den Fragen der Neunt- und Zehntklässler zu stellen. Im Interview verrät der Sozialdemokrat, was er den jungen Leuten mitgeben möchte, ob sie dabei in Ehrfurcht erstarren sollen – und warum Schüler gelegentlich interessantere Fragen stellen als Journalisten.
Herr Beck, träumen Sie manchmal noch von der Schule?
Sagen wir es so: Ich habe Erinnerungen. Ich hatte ja noch eine Schulzeit der besonderen Art: zwei Klassenzimmer, das eine für die Klassen Eins bis Vier, das andere für die Klassen Fünf bis Acht, in der Volksschule in Steinfeld. Und ich habe daran nicht nur schöne Erinnerungen.
Heißt das, Sie betreten Schulen mit einer gewissen Beklemmung?
Nein, ich bin ja dann später auch wieder auf die Abendschule gegangen. Es war auch eine ganz andere Zeit. Und heute, meine ich, sind unsere Schulen – trotz aller gegenteiliger Kritik – auf einem guten Weg.
Als Sie so alt waren wie die Maxdorfer Schüler, die Sie jetzt treffen – hatten Sie mal die Gelegenheit, den damaligen Ministerpräsidenten Peter Altmeier persönlich zu sehen und ihm Fragen zu stellen?
Unvorstellbar. Das war unvorstellbar. Ich weiß da noch eine Geschichte, da war ich wohl so in der dritten Klasse. Da ist der Peter Altmeier mal durchs Dorf gefahren. Er hat einen kurzen Stopp gemacht, der Bürgermeister hat was weiß ich was übergeben, und wir Kinder haben im Hintergrund ein Lied gesungen. Ich kann mich nur an ein paar Männer mit dunklen Anzügen und Hüten erinnern.
Wenn wir uns das Unvorstellbare trotzdem vorstellen – wie wären Sie Altmeier gegenübergetreten: mehr so respektvoll oder eher jugendlich-aufsässig-provokant?
Jugendlich-aufsässig, das war damals erst recht unvorstellbar. Wenn man nach Hause kam und erzählt hat: „Der Lehrer hat gesagt ...“, dann wurde man sofort korrigiert: „der Herr Lehrer“. Heute sind die Umgangsformen ganz anders. Ich gehe ja immer wieder in Schulen, wenn es von den Terminen her geht. Da erlebe ich sehr selbstbewusste Schülerinnen und Schüler, und das finde ich auch gut.
Das heißt, die Maxdorfer Schüler müssen nicht in Ehrfurcht erstarren, dürfen Sie auch ein bisschen piksen?
Ich hoffe, dass sie nicht in Ehrfurcht erstarren. Und ich glaub’ auch nicht, dass sie das tun. Wir können ja nicht immer von Demokratie und Verantwortung reden und uns nicht den Fragen stellen. Es kommt natürlich auch auf die Vorbereitung in der Schule an. Aber ich erlebe immer wieder Klassen, die glänzend vorbereitet sind und tolle Fragen stellen.
Stellen die Schüler klügere Fragen als wir Journalisten?
Gelegentlich ... Es ist halt nicht immer die gleiche Routine. Bei Journalisten weiß man, was gerade die Themen sind, und dann kann man sich die Fragen auch ungefähr ausrechnen. Bei Schülern ist das anders, die fragen oft viel grundsätzlicher.
Was können die Jugendlichen denn von Ihnen lernen?
Ich will den Anspruch nicht zu hoch hängen. Ich hoffe, dass eine Überzeugung rüberkommt: dass es gut ist, dass wir in Freiheit und Demokratie leben dürfen. In einem Europa, das – daran erinnert ja gerade das Jahr 2014 – anders als vor 100 und vor 75 Jahren nicht für Krieg, Tod, Ausbeutung und Elend steht. Dass man sich einfach besuchen kann, über die Grenzen hinweg. Dass man elektronisch mit Menschen auf der ganzen Welt kommunizieren kann. Ich möchte schon Hoffnung und Zuversicht verbreiten. Obwohl die ernsten Fragen natürlich auch angesprochen werden sollen: dass es noch viel Not auf der Welt gibt, und auch bei uns. Eigentlich lernt man ja aus Fehlern am besten.
Was sollte ein Maxdorfer Schüler keinesfalls so machen wie Sie?
Erstens bestreite ich, dass man nur aus Fehlern lernen kann. Am guten Beispiel kann man mindestens genauso gut lernen. Und zweitens kann man meine eigenen Erfahrungen nicht einfach so übertragen. Ich möchte den jungen Menschen vermitteln, dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, was sie machen, sondern wie sie es machen. Dass sie Sachen zu Ende bringen, nicht einfach bei der ersten Schwierigkeit aufgeben. Jugendliche fragen mich eigentlich immer, wie ich in die Politik gekommen bin. Ich will dann nicht nur das Erzählerchen machen, sondern sie zum Durchhalten ermutigen.
Aus der vordersten politischen Reihe haben Sie sich zurückgezogen – aus gesundheitlichen Gründen. Darf man fragen, wie’s Ihnen jetzt geht?
Es geht mir deutlich besser. Ich habe ja ein chronisches Problem mit der Bauchspeicheldrüse, und das geht nicht einfach weg. Aber es ist jetzt medikamentös gut eingestellt. Und der Druck ist nicht mehr so groß, ich kann die Abläufe besser koordinieren. 50 Stunden die Woche arbeite ich trotzdem noch.
50 Stunden? Klingt nicht wie ein geruhsames Rentnerdasein ...
Ja, aber es ist jetzt anders, es geht nicht mehr rund um die Uhr. Wenn nachts das Telefon klingelt, dann stehen Sie als Ministerpräsident senkrecht im Bett. Weil entweder ist was mit der Familie, man ist ja oft nicht daheim. Oder es ist was passiert: Hochwasser, ein Schiffsunglück, ein Flugzeugabsturz, ein großes Brandereignis. Oder man hat abends mit Betriebsräten oder einem Unternehmer zusammengesessen, weil ein Unternehmen angeschlagen ist. Und es geht darum, was man morgen tun kann, damit die Leute übermorgen noch ihren Arbeitsplatz haben. Das nimmt man mit ins Bett.
Sie sind jetzt Präsident der Friedrich-Ebert-Stiftung. Klingt auch wichtig, ist aber weniger aufreibend?
Es ist eine unglaubliche Erleichterung. Gleich nachher haben wir eine Veranstaltung, da ist zum Beispiel der Philosoph Jürgen Habermas dabei. Bei solchen Anlässen die Leute zu begrüßen, eine Ansprache zu halten, das macht einfach Freude. Es ist auch Arbeit, aber ohne diesen enormen Druck, den man hat, wenn man immer der Letztentscheider ist.
Quelle:
Die Rheinpfalz - Ludwigshafener Rundschau - Nr. 23
Dienstag, den 28. Januar 2014 | S. 19 | Autor: Christoph Hämmelmann